Wie aus Omas Fotokiste ein Erinnerungsbuch wird
Aktualisiert: 8. Okt. 2020
Deine Herkunftsfamilie ist ein Teil von Dir
„Oma, erzähl doch mal!“ Wer kennt sie nicht, diese Bitte aus Kindermund? Und wer würde sich ihr wohl verschließen? Schnell ist die Kuschelecke eingerichtet mit dicken Kissen, schummrigem Licht und ein paar Keksen. Schwups, die Fotokiste hervorgekramt, die Kleinen auf den Schoß genommen, und schon geht’s los!
„Schau mal hier, da war ich so alt wie du!“ Das Foto zeigt ein Mädchen auf einer Schaukel im Garten. Der rote Rock flattert im Wind, man hört förmlich das Lachen; im Hintergrund ein Bauernhof mit Blumenranken am alten Gemäuer; drei Katzen räkeln sich auf einem Holzstapel...
Oma erzählt dem Kind, wie es war, als sie klein war. Wo sie herkam und wie anders sie gelebt hat - damals, in den Jahren nach dem Krieg. Viele Erinnerungen stellen sich ein. Das Kind sitzt ganz still und hört gebannt zu, was Oma beschreibt. Ab und zu fragt es nach: „Hast du den ganzen Sommer wirklich keine Schuhe angezogen? Bist du auch in den Urlaub geflogen? Warum hast du dein Essen aus dem Garten holen müssen?“ Oma antwortet geduldig. Wie gut, denkt sie, dass ich all diese Fotos und Erinnerungen aufgehoben habe und sie nun meinem Enkelkind zeigen kann.
Haben Sie selbst schon so etwas erlebt? Als Oma, Opa oder als Enkelkind? Vielleicht auch als Tochter oder Sohn?
Wie haben die Eltern, die Großeltern früher gelebt? Was hat sie beschäftigt? Womit mussten sie sich abfinden und wo durften sie ihre Träume leben? Was haben sie erreicht im Leben? Welche mir bekannten Persönlichkeitsmerkmale kann ich durch dieses Wissen besser verstehen? Betrifft es nicht auch mich, wer ich heute bin und wie ich die Welt sehe? Heißt es nicht immer: die Auseinandersetzung mit der Herkunftsfamilie ist für die eigene Persönlichkeitsentwicklung wichtig, da sie die Biografie beeinflusst?
Ich habe mir diese Fragen gestellt.
Im Schrank meiner Mutter stand eine große Kiste mit alten Fotos und Dokumenten. Sie enthielt Aufnahmen meiner Großeltern, als sie gerade mal neunzehn Jahre alt waren und natürlich viele weitere aus den Folgejahren: bei der Hochzeit, das erste Kind, die wachsende Familienschar, ihre gemeinsame Zeit nach zehn Jahren Trennung durch den Krieg, die Verwandtschaft von damals, die Enkel im Arm, die ersten grauen Haare, das Alter und die Aufnahmen vom Grab. Daneben Dokumente wie der Lehrvertrag des Großvaters, seine Briefe aus der russischen Gefangenschaft sowie Papiere aus der Aufnahme ins Lager, als er zurückkehrte.
Alle paar Jahre, wenn es etwas umzuräumen galt und die Fotokiste im Weg war, wurde sie herausgenommen und geöffnet. Es flossen Tränen, intensive Erinnerungen und Bilder tauchten auf. Dann verschwand die Kiste wieder.
In mir entstand der Wunsch, diese Familiengeschichte zu dokumentieren und sie aufzubereiten, so dass wir und alle entfernter lebenden Verwandten sie jederzeit zur Hand nehmen konnten.
Die Idee zum Biografischen Fotobuch war geboren!
Haben Sie auch so eine Kiste voller Erinnerungen? Dann öffnen Sie sie und lassen Sie sich mitnehmen in eine andere Zeit...
